Grundprinzipien agiler Entwicklung im Hochschulkontext
Übergeordnetes Ziel der Hamburg Open Online University (HOOU) ist es, eine Öffnung der Hochschulen zu erreichen und zeitgemäße, webbasierte Lehr- und Lernangebote für unterschiedliche Zielgruppen zur Verfügung zu stellen. Das gesamte Projekt wurde sowohl inhaltlich als auch aus einer Organisationsentwicklungsperspektive als Entwicklungs- und Innovationsprojekt gestartet. Im Rahmen eines Vorprojektes, das 2015 gestartet wurde, werden aktuell konzeptionelle und organisatorische Grundlagen geschaffen für eine nachhaltige Umsetzung der Zielstellungen in der Projektphase ab 2017. In diesem Beitrag wird ein Schlaglicht auf die Produkt- und Projektentwicklung aus der Perspektive der Operativen Koordination (OK) der HOOU geworfen.
Der Markenkern der HOOU als leitende Handlungsmaxime
Konzeptionell dient der Markenkern der HOOU als handlungsleitender Rahmen für das gesamte Projekt. Konkret werden in diesem Rahmen folgende Ziele verfolgt:
- Lehr-/Lernangebote auf akademischem Niveau sollen didaktisch innovativ gestaltet und lernendenzentriert umgesetzt werden. Diese werden in derzeit über 60 sogenannten Early-Bird-Projekten in den Hochschulen entwickelt. Zeitgemäße Kommunikationsmöglichkeiten, sollen die Grundlage für die kommunikative Durchführung der Lehr-/Lernangebote darstellen. Für die Implementierung der Angebote soll vorhandene Open-Source-Software genutzt werden.
- Die Angebote sollen sowohl für neue Zielgruppen zugänglich sein als auch im Rahmen der universitären Lehre zum Einsatz kommen, um eine aktuelle Hochschuldidaktik zu fördern. Neben der Öffnung der Hochschulen geht es also auch um eine nach innen gerichtete Hochschulentwicklung.
- Eine zentrale Webapplikation für die HOOU wird entwickelt, die einerseits einen offenen Zugang zu Lernangeboten schafft und andererseits im weiteren Verlauf des Projektes die Möglichkeit bietet, im Rahmen der Early-Bird-Projekte entstandene mediendidaktische Innovationen abzubilden. Langfristig bildet damit die öffentlich frei zugängliche und nutzbare HOOU-Applikation das Kernstück des Projektes.
- Support- und Qualifizierungsangebote für Lehrende dienen der Förderung einer Lehr- und Lernkultur entsprechend der im Markenkern formulierten Leitlinien.
Agile Entwicklung in zwei parallelen Handlungsfeldern
Ziel des Vorprojektes ist es, einen Prototyp bereitzustellen, der als Minimal Viable Solution (Patton 2014, S. 34) erste Einblicke ermöglicht, wie sich die Handlungsmaximen des Markenkerns konkret umsetzen lassen. Eine Weiterentwicklung dieses ersten Prototyps zu einer integrierten und umfänglichen Webapplikation für die HOOU folgt dann in der Hauptprojektphase ab 2017. Sowohl die organisatorischen als auch die technischen und konzeptionellen Erfahrungen aus dem Vorprojekt dienen als Basis für die Applikationsentwicklung im Hauptprojekt. Diese wird durch die OK gesteuert. Für die Gestaltung nutzerinnen- und nutzerzentrierter technischer Lösungen wurden Prinzipien der agilen Entwicklung (siehe u.a. Patton 2014) eingeführt.
Zentrale Herausforderung bei der Plattformentwicklung ist es, die Anforderungen, die sich erst im Laufe des Vorprojektes im Rahmen der Konzeption, Implementation und Erprobung der Lernarrangements aus den Early-Bird-Projekten ergeben, in die Konzeption der Plattform miteinzubeziehen und dennoch schon während dieser konzeptionellen Phase mit der technischen Entwicklung einer Plattform zu beginnen, um zu einem möglichst frühen Zeitpunkt der Entwicklung die neu entstehenden Lernformate der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Die frühzeitige Bereitstellung ist nötig, um die neuen Konzepte erproben und weiterentwickeln zu können.
Aus organisatorischer Perspektive ergeben sich damit zwei Handlungsfelder, die parallel zueinander laufen und gleichzeitig inhaltlich und zeitlich aufeinander abgestimmt sein müssen.
Abbildung 1: Die zwei Handlungsfelder in der HOOU-Entwicklung
Handlungsfeld 1: (medien-)didaktische Innovation und Hochschulentwicklung
Die Förderung (medien-)didaktischer Innovation und Entwicklung ist eines der beiden zentralen Handlungsfelder. Verantwortlich für die Entwicklung und Erprobung innovativer Formen medienbasierten Lehrens und Lernens sind die Hochschulen, hier konkret die Lehrenden, die sich im Rahmen der Early-Bird-Projekte dazu verpflichtet haben, Lernarrangements unter den Vorgaben des Markenkerns zu gestalten. Ein exploratives Vorgehen fördert dabei die Innovationskraft. Aus technischer Sicht sind flexible Strukturen für die Implementation notwendig, die sich je nach Fachkultur der Early- Bird-Projekte und nach hochschulspezifischer Ausrichtung stark voneinander unterscheiden können.
Im Rahmen der Early-Bird-Projekte konkretisieren die Hochschulen ihre spezifischen Anforderungen an eine zukünftige HOOUWebapplikation. Im Sinne agiler Entwicklung fungieren die Early- Bird-Projekte zunächst als organisatorischer Rahmen zur Erstellung funktionaler Prototypen (Patton 2014, S. 40): Sowohl didaktisch als auch technisch werden medienbasierte Formen der Hochschullehre entwickelt und umgesetzt und im Rahmen von teilweise öffentlich zugänglichen Lehrveranstaltungen hinsichtlich der Zielstellungen des Markenkerns erprobt. Die technische Implementierung der Early-Bird-Projekte erfolgt in dezentralen Experimentierfeldern. Grundlage hierfür sind bestehende Infrastrukturen der Hochschulen sowie eigens für die HOOU bereitgestellte Installationen von Open-Source-Tools, die lose miteinander gekoppelt werden.
Aufgabe der OK ist es, anschließend, auf Basis von Evaluationen der ersten Durchläufe der aus den Early-Bird-Projekten entstandenen Lehr-/Lernszenarien, die Anforderungen an die Plattform gemeinsam mit den Hochschulen zu konkretisieren und zu operationalisieren.
Handlungsfeld 2: zentrale Entwicklung eines Prototyps
Die Entwicklung eines gemeinsamen Prototyps als zweites Handlungsfeld ist eine zentrale Aufgabe, die von der OK gesteuert wird. Langfristiges Ziel der Plattformentwicklung ist eine Seamless Software Integration (Paulheim & Erdogan 2010). Das bedeutet, die bisher in den Experimentierfeldern lose gekoppelten Tools werden – nach Erprobung und Evaluation im Rahmen der Durchführung von Lernarrangements – so miteinander verbunden, dass es keine wahrnehmbaren Brüche in der Nutzung der Plattform gibt. In der aktuellen Vorprojektphase steht der Aufbau eines strukturierten und benutzerinnen- und benutzerfreundlichen Zugangs zu Materialien und den verteilten Lernangeboten der Early-Bird-Projekte im Fokus der Entwicklung.
In Abstimmung mit der Expertengruppe Plattform und Konzeption wurden folgende konkrete Zielsetzungen für die Prototypentwicklung herausgearbeitet:
- Alle Inhalte und Angebote, die im Rahmen des Projektes erstellt werden, werden als Open Educational Resources (OER) unter CC-Lizenzen bereitgestellt, sodass eine Weiternutzung der Inhalte ermöglicht wird. Dabei geht es darum, die Weiterverbreitung und die Nutzung in anderen Kontexten zu ermöglichen sowie die gemeinsame Bearbeitung, Weiterentwicklung und Versionierung von Lernmaterialien zu unterstützen (siehe auch Wileys „5R“ (2014) für OERMaterialien: „Retain, Reuse, Revise, Remix, Redistribute“).
- Über ein zentrales Portal erhalten Studierende und interessierte Bürgerinnen und Bürger Zugang zu Lernangeboten der Hochschulen. Die Lernangebote werden mittels eines formalisierten Steckbriefes auf dem Portal dargestellt. Über einen Link gelangt man direkt zu den Lernangeboten, die von den Hochschulen auf den jeweiligen hochschuleigenen Infrastrukturen zur Nutzung bereitgestellt und auch dort organisatorisch verwaltet und gesteuert werden.
- In einem zentralen OER-Repository werden die einzelnen Lernmaterialien wie z. B. Vorträge, Skripte, Bildersammlungen, Arbeitsblätter etc. gespeichert und öffentlich zugänglich gemacht. Intelligente Vorschlagsmechanismen und thematische Verknüpfungen der einzelnen Materialien unterstützen das Finden von Inhalten. Zusätzlich zur Teilnahme an den vorstrukturierten Lernangeboten wird damit auch verstärkt ein informelles, selbstgesteuertes Lernen für interessierte Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht.
- Zur Schaffung einer möglichst großen Anschlussfähigkeit an andere Repositorien wird ein Metadatenmodell implementiert, das sich an gängigen Standards orientiert.
- Alle Inhalte, die im Repository gespeichert sind, können direkt in andere Webseiten, Learning Management Systems (LMS), Blogs etc. eingebunden werden, sodass zentral gespeicherte Materialien auch im Rahmen der Lernangebote in den Infrastrukturen der Hochschulen genutzt werden können.
Ausblick
Da sich in einer Zeit des permanenten technologischen Wandels auch die Formen und Tools der Kollaboration und Kommunikation permanent verändern, ist das oben beschriebene zweigleisige Vorgehen nicht als reine Projektstruktur zu verstehen, die nach Fertigstellung der HOOU-Webapplikation auf Betrieb und Weiterentwicklung einer Plattform reduziert werden kann. Vielmehr ergibt sich mit der HOOU die Möglichkeit, agile Formen der Entwicklung und Raum für hochschul- und mediendidaktische Experimente als langfristiges Konzept für eine zeitgemäße Infrastrukturentwicklung in die Hochschulen zu überführen – ganz im Sinne Werner Sesinks, der bereits 2006 postulierte: „Die Bildungseinrichtungen werden sich darauf einstellen müssen, dass sie zu permanenten Baustellen werden. ‚Under construction‘ wird keine vorübergehende Behinderung des Betriebs mehr anzeigen, sondern die neue Grundverfassung. Das kann man bejammern und beklagen. Darin kann man aber auch eine Chance sehen: zu offenen Strukturen, die auf Experiment und Kreativität, auch auf Bereitschaft zur Revision, Umgang mit Erfahrungen des Scheiterns eingestellt sind und eine permanente Meta-Reflexion des Entwicklungsprozesses verlangen“ (in Scheibel 2006, S. 4).
Verweis und Literatur
*Dieser Beitrag von Christina Schwalbe, Patrick Peters, Tina Ladwig, Iver Jackewitz, Marc Göcks, Sönke Knutzen aus der SYNERGIE – Fachmagazin für Digitalisierung in der Lehre, #2, Seite 42-43, steht unter CC-BY-SA 4.0 und darf unter den Bedingungen dieser freien Lizenz nachgenutzt werden. Der Beitrag wurde ergänzt um die Abbildung 1 „Die zwei Handlungsfelder in der HOOU-Entwicklung“.
HOOU (2016). https://projekte.hoou.de/p/konzept-hamburg-open-online-university-hoou/
Patton, Jeff (2014). User Story Mapping: [discover the Whole Story, Build the Right Product]. Beijing [u.a.]: O’Reilly.
Paulheim, Heiko & Erdogan, Atila (2010). Seamless integration of heterogeneous UI components. In: Proceedings of the 2nd ACM SIGCHI symposium on Engineering interactive computing systems (EICS ‚10). ACM, New York, NY, USA, S. 303-308. Verfügbar unter: https://uhh.de/hxb0g [12.10.2016].
Scheibel, Michael (2006). „Under construction“ – Ein Meinungsspiegel zur Transformation von Bildungsinstitutionen. merz medien+erziehung (2/06 und 3/06).
Wiley, David (2014). Opencontent.org: The Access Compromise and the 5th R. Verfügbar unter: http://opencontent.org/blog/archives/3221 [12.10.2016].
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